Schlüsselwörter

1 Einleitung

Face-to-Face-Fundraising gehört zu den ältesten Fundraising-Maßnahmen, die im deutschsprachigen Bereich überhaupt praktiziert werden. Große Hilfsorganisationen wie zum Beispiel das Deutsche Rote Kreuz, die Johanniter, die Malteser und der Arbeiter-Samariter-Bund praktizieren die sog. „Haustürwerbung“ faktisch spätestens seit den fünfziger Jahren. Anders ausgedrückt: Es handelt sich beim Face-to-Face-Fundraising um den eigentlichen, aber „heimlichen Klassiker“ im Fundraising des deutschsprachigen Bereiches.

Nach wie vor wird dieser Vertriebskanal des Fundraising von vielen gemeinnützigen Einrichtungen und Organisationen eher „verschämt“ genutzt. Man praktiziert es gerne, redet aber ungerne darüber. Viele Einrichtungen und Organisationen sind auf die Einnahmen angewiesen, denn wirtschaftlich ist das Face-to-Face-Fundraising das mit Abstand erfolgreichste Fundraising-Instrument in der Gewinnung neuer Förderer. Qualitätsmängel und ethische „Unzulänglichkeiten“ wurden über viele Jahrzehnte in Kauf genommen, da der wirtschaftliche Erfolg zur Finanzierung der gemeinnützigen Arbeit die Mittel „heiligte“. Erst in den letzten Jahren wird kritischer über insbesondere über das Tür-zur-Tür-Fundraising diskutiert und geurteilt.

Die gesamte Diskussion über das Face-to-Face-Fundraising ist von vielen Vorurteilen, Vorverurteilungen und einer Menge Unwissen geprägt. „Heute wie damals rekrutieren die Drückerbosse ganz gezielt labile, perspektivlose und in mancherlei Hinsicht eingeschränkte junge Leute. Sie werden gut geschult, um nicht zu sagen abgerichtet, und massiv unterdrückt, damit auch ja genügend Scheine (Drückersprache für Dauerspenden oder Mitgliedschaften) zusammenkommen.“, so führt Loipfinger aus (Loipfinger 2011, S. 130). Dieses Bild vor Augen haben sich wissenschaftliche Autoren oder auch die praxisorientierte Literatur bisher fundiert und substantiell so gut wie gar nicht um dieses Face-to-Face-Fundraising bemüht. Eine der wenigen Ausnahmen bilden Haibachs „Handbuch Fundraising“ und Urselmann in seinen Fundraising-Grundwerk, die beide unter rein fachlichen Gesichtspunkten des Fundraising dieses Instrument behandeln (Haibach 2012, S. 242–252; Urselmann 2014, S. 186–206).

Es ist also an der Zeit, dieses eigentliche Kerninstrument des Fundraising wissenschaftlich angemessen darzustellen und zu reflektieren, ohne von den wirtschaftlichen oder ethischen Aspekten abzusehen. Im Gegenteil wird es in Zukunft mehr denn je darauf ankommen, ein Face-to-Face-Fundraising in Deutschland zu entwickeln, das ethische Aspekte bewusst integriert und Ethik nicht als reines Aufstellen von Verboten versteht. Dazu sollen die folgenden Ausführungen beitragen.

Entsprechend ist der Aufbau des Beitrages gewählt worden. Im Folgenden geht es darum, 1. die notwendigen Begriffe und Begrifflichkeiten angemessen zu klären und klarere Definitionen zu schaffen. Danach wird 2. das Face-to-Face-Fundraising als umfassender Prozess innerhalb eines Fundraising-Mixes einer gemeinnützigen Einrichtung oder Organisation dargestellt. Anhand dieser prozessualen Struktur werden 3. die einzelnen Instrumente und wichtige Elemente dieses Instrumentes praxisorientiert dargestellt. Abschließend geht es 4. darum, die fundraising-ethischen Aspekte zu beleuchten, die auch (aber nicht nur!) das Qualitätsmanagement umfassen. Dem wissenschaftlichen Leser sowie dem Praktiker sollen die folgenden Ausführungen helfen, das „kommunikative Rauschen“ (Wieland 1991, S. 137) zwischen ökonomischen Anforderungen und fundraising-ethischen Aspekten im Face-to-Face-Fundraising aufzuheben. Ein wirtschaftlich erfolgreiches und ethisch angemessenes Face-to-Face-Fundraising ist möglich.

2 Face-to-Face-Fundraising zwischen wirtschaftlichem Erfolg und Ethik

2.1 Grundbegriffe Face-to-Face-Fundraising

Face-to-Face-Fundraising – Was ist das? Eine grundlegende Definition lautet:

Beim Face-to-Face-Fundraising werden Menschen systematisch „von Angesicht zu Angesicht“ persönlich angesprochen, um sie zu motivieren, sich bevorzugt längerfristig und dauerhaft für eine gemeinnützige Einrichtung oder Organisation zu engagieren.

Eine etwas praxisorientiertere Definition von Haibach führt dazu weiter aus: „Face-to-Face-Fundraising wird in der Regel dazu eingesetzt, Dauerförderer (ob Mitglieder, Fördermitglieder oder Paten) zu gewinnen, Menschen, die der jeweiligen Spendenorganisation die Genehmigung erteilen, von ihrem Bankkonto regelmäßig (ob monatlich, halbjährlich oder jährlich) festgelegte Beträge abzubuchen.“ (Haibach 2010, S. 243).

In diesem Zusammenhang werden auch gerne die Begriffe „Dialogmarketing“ oder „Dialog-Fundraising“ verwandt. Diese Bezeichnung kann als Oberbegriff für alle Marketing- und Fundraising-Aktivitäten herangezogen werden, in denen eine Einrichtung oder Organisation in einen Dialog mit einem oder mehreren Förderern treten. In der Fundraising-Praxis geht dies über reine Face-to-face-Maßnahmen hinaus. Auch in einer Spender-Hotline wird ein Dialog mit dem jeweiligen Spender geführt, und auch hier findet eine Steuerung dieses Dialoges von beiden Seiten statt. Entsprechend umfassend sind die Definitionen im „Profit“-Bereich: „Marketingstrategie, bei der die Anbieter mit ihren Kunden bzw. Zielgruppen in einen Dialog eintreten, der über die Marketingkommunikation hinausgeht. So können Kundenanregungen zum Beispiel für die Produktpolitik genutzt werden.“ (Esch und Kirchgeorg 2015).

In der Praxis wird das Face-to-Face-Fundraising folgendermaßen umgesetzt.

1. Tür-zur-Tür-Fundraising

Hier handelt es sich um die bekannte „Werbung an der Haustür“. Mitarbeiter gehen von Haustür zu Haustür und motivieren Menschen, Dauerförderer für einen gemeinnützigen Zweck zu werden (zum Beispiel Deutsches Rotes Kreuz, Malteser). Das Tür-zur-Tür-Fundraising umfasst auch die Haustürsammlungen, die viele große Wohlfahrtsverbände (zum Beispiel Diakonie, Caritas) jährlich durchführen.

Praxis-Fazit: Trotz der kritischen Diskussion ist dieses Instrument nach wie vor am erfolgreichsten und am nachhaltigsten. Immerhin wird an der Haustür erfahrungsgemäß jeder 10.–12. Kontakt in einer Fördermitgliedschaft umgewandelt. Die Kündigungsraten für Dauerförderer liegen mit 10 % bis 20 % im überschaubaren Rahmen. Die durchschnittlichen Dauerspenden liegen durchschnittlich bei 50–80 Euro pro Jahr.

2. Stand-Fundraising

Die Mitarbeiter sprechen Passanten auf der Straße an. Ausgangspunkt ist dabei ein weithin sichtbarer Stand der Einrichtung oder Organisation. Auch hier geht es in der Regel um eine Dauerförderung (zum Beispiel Fördermitgliedschaft, Patenschaft). Dieses Instrument wird saisonorientiert (bevorzugt zwischen März und Oktober) eingesetzt, da es zum Beispiel stark wetterabhängig ist.

Praxis-Fazit: Erfahrungsgemäß ist dieses Instrument in der Ansprache ähnlich erfolgreich wie das Fundraising an der Haustür, jedoch sind die Kündigungsquoten mit 25 % bis 35 % höher. Die durchschnittliche Dauerspende liegt mit 80–120 Euro jedoch höher als im Tür-zur-Tür-Fundraising.

3. Straßen-Fundraising (sog. „Fliegende“)

Auch in diesem Fall werden Passanten auf der Straße angesprochen, allerdings gibt es hier keinen Stand. Die Mitarbeiter sind durch Kennzeichnung der Kleidung oder einheitliche „Uniformierung“ erkennbar und tragen ein Klemmbrett, eine Schreibmappe bzw. eine Mappe mit einem Computer-Tablet.

Praxis-Fazit: Dieses Instrument ist noch nicht so etabliert und von den Einrichtungen und Organisationen noch nicht so akzeptiert in Deutschland wie die beiden anderen Face-to-face-Instrumente. Die Menschen begegnen dieser Form der Ansprache hierzulande daher mit viel Skepsis, anders als zum Beispiel in den Niederlanden. Vorteil für die Mitarbeiter ist, dass sie ihren Standort flexibel wechseln können. Die wirtschaftlichen Ergebnisse sind denen des Stand-Fundraising ähnlich.

Kern einer erfolgreichen und angemessen durchgeführten Face-to-face-Kampagne im Fundraising sind die Mitarbeiter. Umso erstaunlicher ist es, dass die Bezeichnungen für die wichtigste Ressource stark variieren. Nach wie vor ist von „Werbern“ die Rede, aber auch von „Dialogern“, „Promotern“ oder auch abwertend von „Drückern“ oder „Keilern“. Geht man davon aus, dass für das Face-to-Face-Fundraising Kernkompetenzen vom Personal verlangt werden müssen wie bei anderen Fundraising-Aktivitäten (zum Beispiel Erstellen eines Spenden-Mailings), so ist es konsequent, im Folgenden von „Tür-zur-Tür-Fundraisern“, „Stand-Fundraisern“ und „Straßen-Fundraisern“ zu sprechen.

3 Warum gemeinnützige Einrichtung oder Organisationen Face-to-Face-Fundraising betreiben

Ohne Zweifel brauchen diese Maßnahmen sehr viel Vorbereitungsarbeit, einen sehr hohen administrativen Aufwand und hohe Investitionskosten sowie eine solide Beschwerdequote mit sich. Dennoch schreckt dies viele gemeinnützige Einrichtungen und Organisationen nicht ab. Für das Face-to-Face-Fundraising sprechen drei Vorteile:

  1. 1.

    Wirtschaftlich sehr erfolgreich. Das Face-to-Face-Fundraising ist seit vielen Jahren die wirtschaftlich erfolgreichste Fundraising-Maßnahme bei der Gewinnung von neuen Förderern. Erfahrungen in der Praxis zeigen außerdem, dass die so gewonnenen Förderer langfristig bei Ihrer Einrichtung oder Organisation verbleiben. Die durchschnittliche Verbleibedauer liegt, je nach Aufwand der Spenderbetreuung, zwischen 5–7 Jahren, oftmals auch noch viel länger. Urselmann ist Recht zu geben, dass im sich ständig verschärfenden Verdrängungswettbewerb auf dem Spendenmarkt sich diese aufwendigere Form des Dialogs beim Aufbau einer Spenderbeziehung mittel- und langfristig auszahlt. (Urselmann 2014, S. 186)

  2. 2.

    Instrument mit wirtschaftlichem Alleinstellungsmerkmal. Face-to-Face-Fundraising hat aktuell wirtschaftlich keine Alternative, die ähnliche wirtschaftliche Ergebnisse bei der Neuförderergewinnung bringt. Damit verfügt dieses Instrument über ein wirtschaftliches Alleinstellungsmerkmal im Fundraising. Vergleiche mit den unterschiedlichsten Maßnahmen und Aktionen (zum Beispiel Mailing, Online-Fundraising) zeigen, dass Aufwand und Ertrag beim Face-to-Face-Fundraising wenigstens mittel- und langfristig in einem sehr guten Verhältnis stehen. Mit einer einzigen Ansprache kann hier ein neuer Dauerförderer neu gewonnen werden, der einer Einrichtung oder Organisation über viele Jahr die „Treue hält“.

  3. 3.

    Persönliche Öffentlichkeitsarbeit. In einem solchen persönlichen Gespräch „von Angesicht zu Angesicht“ wird direkt über die Aktivitäten, Projekte und Vorhaben einer gemeinnützigen Einrichtung oder Organisation berichtet. Insofern ist Face-to-Face-Fundraising nicht nur werbliche Kommunikation sondern immer auch Öffentlichkeitsarbeit. Nur sehr selten haben solche Einrichtungen und Organisationen die Chance, ihr Anliegen vorzustellen und auf Rückfragen persönlich antworten zu können.

4 Prozessuales Verständnis von Face-to-Face-Fundraising

Es wird gerne übersehen, dass auch eine Face-to-face-Maßnahme den gesamten Prozess im Fundraising-Mix einer gemeinnützigen Einrichtung oder Organisation durchlaufen muss.Führt man die Definition eines Marketing-Mixes von Bruhn weiter, so versteht man unter Fundraising-Mix die optimale Mischung von Ressourcenpolitik, Absatzpolitik und Kommunikationspolitik variabler Fundraising-Maßnahmen, die im Rahmen der Einzelpolitiken gesteuert, geregelt und auf ihre Wirkung überprüft werden. (nach Bruhn 2005, S. 293) Bei der Verankerung des Face-to-Face-Fundraising im Rahmen dieser Geschäfts- und Management-Prozesse innerhalb des Fundraising-Mixes ist auch für das Face-to-Face-Fundraising die Frage leitend: Welchen Schwerpunkt im Mix der verschiedenen Fundraising-Maßnahmen nimmt Face-to-Face-Fundraising ein, dass der dadurch erzielte (Netto-)Ertrag kurz-, mittel- und langfristig voraussichtlich wenigstens erhalten oder maximiert wird? Kurz gesagt: Das Face-to-Face-Fundraising muss so in die Prozesse des Fundraising-Mixes „eingebaut“ werden, dass es einen maßgeblichen wirtschaftlichen Beitrag zur Wertschöpfung oder Werterhaltung einer gemeinnützigen Einrichtung oder Organisation leistet. In der Fundraising-Praxis mag der überwiegende Teil der Einrichtungen oder Organisationen dem prinzipiell auch zustimmen. Doch in der Einrichtungs- und Organisationsrealität muss man dann feststellen, dass zum Beispiel die Gewinnung neuer Dauerförderer als völlig vom Rest aller anderen Fundraising-Aktivitäten getrennt betrachtet wird. Sie werden zum Beispiel unter den Sonderbereich „Mittelbeschaffung“ gestellt oder erhalten zum Beispiel eine Betreuung, die konstatiert, dass durch Face-to-face gewonnene Dauerförderer beispielsweise auf ein Spendenmailing nicht reagieren würden.

Offensichtlich fehlt hier eine prozessuale Sichtweise, die diese Maßnahme innerhalb des Fundraising-Mixes angemessen positioniert. Auch hier kann man sich an Bruhn orientieren und seinen Entwurf von Teilpolitiken im Nonprofit-Marketing für das Fundraising weiterführen (nach Bruhn 2005, S. 293 ff.). Dabei genügt eine einfach Positionierung in den jeweiligen Teilpolitiken (nach Bruhn 2005, S. 293 ff.), um den gesamten Prozess von Face-to-Face-Fundraising vollständig zu erfassen. Eine solche prozessuale Sichtweise bringt im Übrigen in der Fundraising-Praxis den Vorteil mit sich, dass kein wesentlicher Aspekt bei der Umsetzung übersehen wird und alle Beteiligten (intern wie extern) einbezogen werden (Tab. 1).

Tab. 1 Fundraising-Mix nach Bruhn

Deutlich wird hiermit, dass es sich bei einer prozessualen Sichtweise um keine rein zeitliche Abfolge handelt, an der man sich zum Beispiel beim Spender- und Mitglieder-Zyklus orientiert. Vielmehr geht es darum, das Face-to-Face-Fundraising als ein Instrument des Fundraising-Mixes in alle Geschäfts- und Management-Prozesse einer gemeinnützigen Einrichtung zu integrieren. Eine in der Fundraising-Praxis sehr anspruchsvolle Aufgabe, wenn man alleine den Aufwand der Abrechnung im Tür-zur-Tür-Fundraising überblickt. Leider wird dieser Aufwand von vielen Fundraisern in der praktischen Umsetzung nach wie vor unterschätzt.

5 Wesentliche Elemente und Aspekte des Face-to-Face-Fundraising

Im Face-to-Face-Fundraising gibt es einige wesentliche Elemente, die im Folgenden aufgeführt werden (nach Röhr 2014). Basis all dieser Ausführungen und systematische Grundvoraussetzung ist die (leider nicht immer „gelebte“) Grundregel:

  • Eine Face-to-Face-Fundraising-Aktion muss professionell und seriös vorbereitet, durchgeführt und ausgewertet werden. Andernfalls ist das Risiko viel zu hoch, dass eine gemeinnützige Einrichtung oder Organisation finanziell geschädigt wird oder einen inhaltlichen Schaden in der Öffentlichkeit erleidet.

  • Ziele und Strategie Face-to-Face-Fundraising. „Hauptsache, Sie haben genug neue Mitglieder. Dann haben Sie auch genügend Geld und alle sind zufrieden!“ Gerne wurde und wird so von Seiten der Gemeinnützigen und auch der Dienstleister argumentiert, zum Teil heute noch. Die in den letzten Jahren in der Branche aufgekommene kritische Diskussion zur „Haustürwerbung“ und deren Qualität sollte deutlich gemacht haben, dass eine rein ökonomische Ausrichtung, deren Zweck die Mittel weitestgehend heiligt, nicht mehr ausreicht.

Wie soll nun eine integrativere Zielfindung und Strategieentwicklung aussehen, die alle prozessualen Aspekte im Face-to-Face-Fundraising berücksichtigt? Grundlegend muss man zunächst einmal feststellen, dass es hier vor allem um strategische Zielprozesse geht und weniger um normative Orientierungsprozesse, die sich zum Beispiel im Einrichtungsleitbild formulieren (siehe zum ganzen Dubs et al. 2004, S. 23 ff.). Allerdings hat auch ein Face-to-Face-Fundraising die Aufgabe, die Leitbildvorstellungen seiner Einrichtung oder Organisation zu erfüllen (und ihnen nicht nur nicht zu widersprechen). Strategische Grundlage ist vielmehr ein „emerging strategic plan of one for all“, der aus „vision“, „organizational goals“, „fundraising goals“ und „fundraising objectives“ besteht. (Warwick 2000, S. 115 ff.)

Eine Face-to-Face-Fundraising-Strategie muss seine Ziele stets in zwei Dimensionen entwickeln:

  1. 1.

    Interne Dimension der Strategie-Entwicklung. Hier geht es darum, wie eine Strategie innerhalb einer gemeinnützigen Einrichtung oder Organisation entwickelt werden soll (zum Beispiel Gründung eines Strategieteams). Angesprochen ist also die Meta-Strategie eines Face-to-Face-Fundraising.

  2. 2.

    Externe Dimension der Strategie-Entwicklung. Diese Dimension umfasst die eigentliche Strategie, mit der zum Beispiel im Rahmen des Straßen-Fundraising pro Tag 20 Passanten motiviert werden sollen, sich für das eigene Anliegen zu engagieren.

Orientiert man sich am neuen St. Galler Management-Modell (nach Dubs et al. 2004, S. 65 ff.), so folgt die Strategie-Entwicklung fünf einfachen Fragen. In Tab. 2 wird ein Praxis-Beispiel aufgezeigt. Es geht beispielhaft um die Festsetzung und Abstimmung der Jahresziele für das Face-to-Face-Fundraising eines bundesweit agierenden Fördervereins für Alphabetisierung von Kindern und Jugendlichen.

Tab. 2 Praxisbeispiel Jahresziel-Festlegung Face-to-Face-Fundraising

Über die Wichtigkeit und Bedeutung von Zielen im Fundraising sollten keine weiteren Zweifel bestehen. Dass Zielformulierungen im Fundraising wesentlich zum Erfolg einer Fundraising-Strategie beitragen, hat Urselmann im Rahmen einer Studie empirisch bestätigt. Demnach erweisen sich diejenigen Einrichtungen und Organisationen in ihren Fundraising-Aktivitäten als erfolgreicher, die ihre Fundraising-Ziele strategisch und operativ geplant haben. Urselmann fasst zusammen: „Diejenigen unter den befragten Organisationen, die intensiv, detailliert und kontinuierlich planten, erwiesen sich als höchst signifikant erfolgreicher als solche, die dies nicht taten.“ (Urselmann 1998, S. 210).

Personal als Herausforderung im Face-to-Face-Fundraising

„Enough abstract concept mongering! Lets get down to cases again.“ (Warwick 2000, S. 110). Der zentrale „Case“ im Face-to-Face-Fundraising in der Praxis ist zweifelsohne die Personalfrage. Da es sich um eine ressourcen- und personalintensive Maßnahme handelt, ist ein Überschätzen dieses Elementes im Face-to-Face-Fundraising in der Praxis gar nicht möglich. Ebenso wenig in der Theorie, die die Fundraising-Praxis in diesen Fragen in einer sinnvollen Entscheidung unterstützen könnte. Dies fängt schon damit an, wenn man sich deutlich macht, was zum Personal an Aufgaben (und damit an Aufwand) dazugehört. Folgende Elemente des klassischen Personalwesens gehören im Face-to-Face-Fundraising dazu:

  • Personal-Akquise

  • Personalauswahl

  • Schulung und Coaching

  • Personalabrechnung

  • allgemeine Betreuungsfragen

Macht man sich allein diese Anforderungen klar, so wird hier schon deutlich, dass die Ressourcenpolitik im Fundraising-Mix auf das Engste mit dem Personalwesen einer gemeinnützigen Einrichtung oder Organisation verbunden ist. Was dies im Einzelnen bedeutet, macht das Beispiel Personalakquise klar. (nach Röhr 2014, S. 6).

  1. 1.

    Notwendig ist die Generierung höherer Bewerberzahlen über unterschiedliche Kanäle: Internet (zum Beispiel Jobportale), Zeitungen, Auslage von Flyern (zum Beispiel an Hochschulen), persönliche Empfehlung.

  2. 2.

    Vorauswahl zum Beispiel durch die eigene Internetseite (zum Beispiel Ausfüllen eines Bewerberformulars) und telefonisch.

  3. 3.

    Organisieren persönlicher Bewerbungstermine

  4. 4.

    Theoretische und praktische Schulung der ausgewählten Mitarbeiter

  5. 5.

    Organisieren eines „Training on the job“ zur Einarbeitung

  6. 6.

    Kontinuierliche Coachings (zum Beispiel Ansprache an der Haustür, Verhalten auf der Straße gegenüber Ordnungsbeamten)

Der Aufwand ist also von den Kosten und den bereitzustellenden Ressourcen her immens und bedarf sehr viel praktischer Erfahrung. Die Frage also, ob man ein eigenes Team aufbaut und selbst betreut oder eine Agentur beauftragt, dürfte für sehr viele Gemeinnützige obsolet sein. Das wird deutlich, wenn man den Aufwand für die Personalsuche kalkulativ betrachtet. Für ein kontinuierliches Fundraiser-Team von 8 Personen gilt folgende Gleichung für die Personalsuche:

$$ \mathrm{x}\cdot \frac{2}{\mathrm{y}}=8\ \mathrm{Personen} $$

Wobei x = Anzahl der Gespräche, y = Kandidatengruppe gesamt ist. Der Faktor 2 ist der Erfahrungswert, wie viele Kandidaten von einer Gruppe von 8 potenziellen Kandidaten als ernsthaft in die engere Auswahl kommen. Es ergibt sich folgendes Ergebnis.

$$ 32\cdot \frac{2}{8}=8\ \mathrm{Personen} $$

In diesem realistischen Fall sind also allein für ein Team von acht Personen mindestens 32 Gespräche notwendig. Erschwerend kommt hinzu, dass in jedem Team eine gewisse Fluktuation herrscht, was bedeutet, dass eine solche Anzahl von Gesprächen kontinuierlich zu führen ist. Für große Organisationen mag dies unter bestimmten Umständen möglich sein, in aller Regel ist eine Zusammenarbeit mit einem externen Dienstleister allein schon aus kalkulatorischer Sicht empfehlenswert.

Die Kernfrage beim Personal im Face-to-Face-Fundraising betrifft zweifelsohne die Vergütung. Leider fehlt in der Forschung noch eine eingehende Studie über die Breite der Vergütungsverhältnisse in dieser Form des „persönlichen Vertriebs“ (Urselmann 2014, S. 192 f.) und vor allem über die Erfahrungen, die mit den Vergütungsmodellen gemacht wurden. So lässt sich bisher nur die Aussage treffen, dass Vergütungen mit Festgehalt (vornehmlich beim Stand- und Straßen-Fundraising) vorhanden sind, aber auch Vergütungsmodelle auf Vollprovisionsbasis (vornehmlich im Tür-zur-Tür-Bereich) sowie zahlreiche Mischformen.

Der eigentliche Punkt sind jedoch die Erfahrungen mit den einzelnen Vergütungsmodellen. In der Branche (und nicht nur dort) wird nach wie vor angenommen, dass eine Vergütung auf Festgehaltsbasis qualitativ bessere Gespräche und nachhaltigere Abschlüsse mit sich bringt, während ein Provisionsmodell mehr „Druck“ auf die Fundraiser ausübt, was eine wesentlich schlechtere Qualität (zum Beispiel unwahre Aussagen wie „Wenn Sie hier nicht unterschreiben, kommt kein Rettungswagen!“) zur Konsequenz hat. Da hier im Nonprofit-Bereich aktuell noch jegliche empirisch gesicherte Erfahrungen fehlen, macht es Sinn, sich einmal in anderen Branchen umzuschauen. Denn nur mit empirisch fundierten Grundlagen wird auch eine ethisch angemessene Beurteilung dieses äußerst umstrittenen Themas möglich sein und vor allem eine Entwicklung alternativer Vergütungsmodelle fördern.

In der Versicherungsbranche liegt zu dieser Frage wesentlich mehr empirisches Material vor. Auch wenn ein Vergleich hinkt, da es sich beim Verkauf eines Versicherungsproduktes um etwas gänzlich anderes handelt als zum Beispiel um eine Patenschaft, so bietet doch ein Ergebnis auch für das Face-to-Face-Fundraising einen interessanten Anknüpfungspunkt. So wird immer wieder festgestellt, dass ein Vollprovisionsmodell (orientiert am reinen Umsatz) auch ökonomisch nicht mehr die notwendigen Ergebnisse bringt, da allein schon die Kündigungsquoten recht hoch sind. Laut zum Beispiel der Vertriebsumfrage 2007 der Zeitschrift „absatzwirtschaft“ arbeiten rund 70 Prozent aller befragten Vertriebsbeauftragte mit Provisionen (meist allerdings am Deckungsbeitrag orientiert!) und rund 60 Prozent motivieren mit Zielboni. Die Provision als Anreiz hält künftig nur noch ein Drittel aller befragten Vertriebsverantwortliche für wichtig. Es wäre wünschenswert, wenn solche Ergebnisse in der Fundraising-Branche als Anregung wahrgenommen werden würden, sich mit dieser Frage in Zukunft fundierter auseinanderzusetzen (nach Detroy et al. 2007, S. 359). Der Profit-Bereich ist hier eindeutig weiter.

5.1 Der persönliche Dialog mit dem potenziellen Förderer

Eine „alte Regel“ aus dem Direktmarketing besagt: Je persönlicher der Kontakt, umso erfolgreicher das Ergebnis. Dies trifft auch auf das Face-to-Face-Fundraising zu. Umso erstaunlicher ist es, dass man mittlerweile viele, zum Teil auch wissenschaftlichere Ausführungen über das persönliche Gespräch mit einem Großspender (siehe Fredericks 2000, S. 57–70) oder einem Erblasser (siehe Haibach 2012, S. 258 ff., 326 ff.) in der Fundraising-Literatur findet, jedoch kaum fundierte Ausführungen im Face-to-face-Bereich. Der persönliche Dialog spielt sich auf den unterschiedlichsten Ebenen ab, wie Buber in seiner Ich-/Du-Philosophie eindrucksvoll beschrieben hat. Seine philosophischen und theologischen Ausführungen laufen darauf hinaus, dass alles wirkliche Leben Begegnung ist (Buber 1992, S. 15). Dies macht umfassender deutlich als jede kommunikationswissenschaftliche Studie, dass der persönliche Dialog fundamental auf verschiedenen Ebenen verbal und nonverbal abläuft:

  • Rationale Ebene: Argumentation

  • Emotionale Ebene: Inhalt, Gesprächssituation, Verhalten der Gesprächspartner (zum Beispiel Mimik, Gestik, Auftreten)

  • „Übergeordnete“ Ebene: Grundüberzeugungen (zum Beispiel religiöse, politische, ideologische)

Die eigentliche Herausforderung im Face-to-Face-Fundraising liegt nun inhaltlich darin, dass diese gesamte Dynamik im persönlichen Dialog auf den verschiedenen Ebenen in wenigen Minuten stattfindet. Deutlich wird damit, dass eine Einrichtung oder Organisation für eine solche Herausforderung nicht nur die „richtigen“ Mitarbeiter benötigt, sondern dieser persönliche Dialog auch einer guten und intensiven inhaltlichen Vorbereitung bedarf, die sich in Schulung und Coaching wiederfindet. Diese inhaltliche Vorbereitung umfasst 3 Ebenen, die sich an die im Marketing gesetzten kognitiven, affektiven und konativen Ziele orientieren (siehe Moser 2007, S. 12 ff.).

5.2 Ebene 1: Informative oder kognitive Ebene

Selbstverständlich sollte jeder Mitarbeiter über die wesentlichen Inhalte der Arbeit der Organisation informiert sein, für die er zum Beispiel um eine dauerhafte Unterstützung bittet. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich um einen eigenen Mitarbeiter oder um die Mitarbeiter einer beauftragten Agentur handelt. Empfehlenswert ist also die Erarbeitung eines kleinen Curriculums zum Beispiel für eine Standardschulung, die folgende „Informationspakete“ über das Anliegen und die Arbeit der Organisation beinhalten sollte:

  • Grundinformationen über das zu bewerbende Projekt (Bezeichnung, Kurzbeschreibung, ggf. finanzieller Bedarf)

  • Grundinformationen über die Organisation (zum Beispiel Gründungsjahr, Hauptaufgaben, aktuelle Herausforderungen)

  • Fachinformationen (falls notwendig, zum Beispiel über Themen wie Krebs, Herzinfarkt, Schlaganfall)

  • Adresse, Telefon, Ansprechpartner der Organisation (bei speziellen Fragen)

  • Beschreibung der Zielgruppe, die angesprochen werden soll (insbesondere beim Stand- und Straßen-Fundraising)

  • Bisherige Erfahrungen in der Gewinnung neuer Dauerförderer (zum Beispiel welche Fragen häufig gestellt werden)

  • Zeitgleich laufende Kampagnen oder andere öffentlichkeitswirksame Aktionen (zum Beispiel Image-Kampagne)

Gerade diese informativen Inhalte lassen sich mittlerweile sehr gut online schulen, zum Beispiel im Rahmen eines Webinars. Jeder Mitarbeiter kann die Schulungsunterlagen online oder ausgedruckt durcharbeiten und anhand eines Online-Tests das erworbene Wissen prüfen. Erst nach bestandenem Test wird er für eine Face-to-face-Kampagne eingesetzt. Eine klassische Schulung oder ein Einzelcoaching kann dies ganz sicher nicht ersetzen. Doch jeder Mitarbeiter kann sich das Basiswissen für seine Arbeit aneignen. Der Aufwand für die Einrichtung oder Organisation bezüglich der Koordination und Organisation von Schulungen wird mit einem Webinar spürbar geringer.

5.3 Ebene 2: Kommunikatives Verhalten (affektiv)

Die affektive Ebene spielt im Face-to-Face-Fundraising sicherlich die wichtigste Rolle, handelt es sich doch beim Spenden um eine äußerst emotional gesteuerte Handlung. Dabei kann sich die affektive Reaktion zum Beispiel eines potenziellen Fördermitglieds auf das Anliegen der Einrichtung oder Organisation beziehen, aber auch auf den Face-to-face-Fundraiser selbst. Letzteres kann der Mitarbeiter durch sein eigenes Verhalten im Rahmen der sog. persuasiven Kommunikationssituation (siehe Moser 2007, S. 67 ff.) stark beeinflussen.

Allgemein bedeutet das beispielsweise, dass im persönlichen Gespräch mit Passanten oder Hausbewohnern grundsätzlich Respekt und Höflichkeit „oberstes Gebot“ ist. Das Gespräch sollte so kurz wie möglich sein. Korrekte und wahrheitsgemässe Informationen sind dabei das A und O. Das bedeutet, dass wesentliche Informationen nicht weggelassen werden (zum Beispiel dass ein ehrenamtlicher Besuchsdienst gar nicht mehr existiert) oder etwas „hinzugedichtet“ wird (zum Beispiel dass ein zusätzliches Angebot für einen ehrenamtlichen Besuchsdienst in Zukunft zur Verfügung steht, obwohl das höchstens interne Überlegungen sind). Auf Wunsch des Angesprochenen ist das Gespräch jederzeit zu beenden. Auf Nachfrage nennt der Mitarbeiter auch den Dienstleister, falls eine Agentur beauftragt worden ist und sollte auch über die Vergütung prinzipiell Auskunft geben.

So gut sich diese Ausführungen auch lesen lassen, was bedeutet das konkret in der Praxis? Eine kleine Liste mit ausgewählten Punkten führt vor, auf welche Details geachtet werden sollte (nach Röhr 2014, S. 14).

1. Der Face-to-face-Fundraiser hat sich mit vollständigem Namen und „im Auftrag“ oder „für“ eine Einrichtung oder Organisation vorgestellt (sofern ein externer Dienstleister beauftragt worden ist).

2. Der Mitarbeiter gibt dem Angesprochenen ausreichend Zeit, auf seine Vorstellung zu reagieren und trägt nicht sofort weiter sein Anliegen vor.

3. Der Face-to-face-Fundraiser spricht laut, deutlich und nicht zu schnell.

4. Der Mitarbeiter klärt korrekt und wahrheitsgemäß über die Förderart (zum Beispiel handelt es sich um eine Dauerspende) auf.

5. Das Gespräch ist für den potenziellen Dauerförderer jederzeit nachvollziehbar, verständlich und logisch aufgebaut. Alle Argumente werden sachorientiert und informativ vorgetragen.

6. Das Gesprächsverhalten des Face-to-face-Fundraisers ist immer respektvoll, höflich und von der notwendigen Distanz (Körperabstand mindestens 30 cm) geprägt.

7. Der Abschied verläuft korrekt und höflich.

5.4 Ebene 3: Reaktionsverhalten (konativ)

Beim konativen Verhalten geht es abschließend um das Verhalten des potenziellen Förderers, der idealerweise zu einem neuen Dauerspender oder Fördermitglied wird. Doch konativ kann ebenso bedeuten, dass ein potenzieller Förderer zunächst sein Informationsverhalten ändert, indem er zum Beispiel die Spenderhotline anruft, um sich weiter zu informieren oder per Telefon zum Dauerförderer wird. Darüber hinaus kann es auf dieser Ebene des Verhaltens auch darum gehen, zum Beispiel bestehende Fördermitglieder zu motivieren, ein weiteres Fördermitglied zu „werben“ („Mitglieder werben Mitglieder!“).

Notwendig dafür ist erfahrungsgemäß, neben allem Verhalten des Face-to-face-Fundraisers, ein übersichtliches und klares Beitritts- oder Mitgliedschaftsformular. Es muss in der Praxis immer wieder erstaunen, wie oft man unübersichtlichen, unklaren oder schlichtweg falschen Beitrittsformularen begegnet. Die Gestaltung dieses Formulars sollte sich an die Vorgaben halten, die auch den Mitarbeitern gemacht werden. Eine klare, leicht verstehbare und nachvollziehbare Darstellung der Dauerförderform, in dessen Rahmen sich ein potenzieller Förderer engagieren möchte. Andernfalls konterkariert man das korrekte Verhalten eines Face-to-face-Fundraisers. Kurz gesagt: Der positive persönliche Auftritt des Mitarbeiters wird durch ein unklares Formular vollständig zerstört. So macht es auch im Rahmen dieses Beitrages Sinn, ein beispielhaftes Beitrittsformular vorzustellen. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um ein konventionelles Papierformular oder um eine digitale Version (zum Beispiel mittels Computer-Tablet) handelt (nach Röhr 2014, S. 9).

figure a

Diese punktuellen Ausführungen zum Face-to-Face-Fundraising zeigen, dass die Durchführung zum Beispiel einer Tür-zur-Tür-Aktion mit hohem Aufwand und damit auch mit hoher wirtschaftlicher Verantwortung verbunden ist. Umso wichtiger ist das zeitnahe Führen durch Kennzahlen.

6 Erfolgsmessung im Face-to-Face-Fundraising – wirtschaftlich und qualitativ

Wie bei jeder Maßnahme im Fundraising so ist die Erfolgsmessung beim Face-to-Face-Fundraising sehr wichtig. Ein kontinuierliches Erfolgscontrolling dient nicht nur der wirtschaftlichen und qualitativen Ergebnissicherung, sondern ist auch wichtig für die Kampagnensteuerung. Gerade bei Qualitätsproblemen (zum Beispiel hohe Sofortstornoquote) ist schnelles Eingreifen wichtig, um den Gesamterfolg der Aktion nicht zu gefährden. Außerdem muss man berücksichtigen, dass sich Kosten für eine Face-to-face-Kampagne über zwei oder sogar drei Jahre erstrecken können (je nach Vertragskonditionen zum Beispiel mit einer Agentur). Hier wird der prozessuale Charakter einer Face-to-face-Maßnahme besonders deutlich. Erschwerend kommt hinzu, dass im Face-to-Face-Fundraising keine Benchmarks vorhanden sind, um besser einschätzen zu können, ob die eigene Maßnahme als erfolgreich gelten kann (siehe Urselmann 2014, S. 400–409).

Dieser hohen wirtschaftlichen Verantwortung wird man in der Fundraising-Praxis gerecht durch das Führen mit Kennzahlen (siehe zum ganzen Urselmann 2014, S. 389). Für das Face-to-Face-Fundraising sind einige spezifische Kennzahlen für Kampagnenführung und Erfolgsmessung empfehlenswert.

  1. 1.

    Ergebnis pro Aktion. Darunter zu verstehen ist die Anzahl der abgeschlossenen Fördermitgliedschaften oder Dauerspenden, der durchschnittliche Spenden- oder Jahresbeitrag sowie die Gesamteinnahmen. Diese Zahlen können zusätzlich bezogen werden auf eine Region, einen Zeitraum oder auf einen bestimmten Mitarbeiter bzw. eine bestimme Agentur. Der durchschnittliche Jahresbeitrag liegt zwischen 60 und 100 Euro. Erfahrungen zeigen außerdem, dass man zum Beispiel beim Tür-zur-Tür-Fundraising ein durchschnittlich arbeitender Fundraiser bei höchstem jedem zwölften Kontakt eine Dauerförderung abschließt (siehe Urselmann 2014, S. 192–193).

  2. 2.

    Storno- oder Kündigungsquote. Wirtschaftlich und qualitativ äußerst relevant ist die Storno- oder Kündigungsquote. Sie errechnet sich aus folgender Formel:

    $$ \frac{\mathrm{x}}{\mathrm{y}}=\frac{{\mathrm{x}}^1}{{\mathrm{y}}^1}=\frac{{\mathrm{x}}^1\cdot \mathrm{y}}{100}=\mathrm{q}\% $$

    Wobei x Anzahl der Kündigungen, y die Anzahl der gewonnenen Fördermitglieder sowie x1 und y1 die gekürzten Werte und q die Stornoquote ist.

    Unterschieden wird weiterhin zwischen einer Sofortstornoquote und einer Gesamtstornoquote. Die Sofortstornoquote sollte wöchentlich erhoben werden. Bei einem plötzlichen Anstieg von einer Kalenderwoche zur anderen liegt erfahrungsgemäß ein Qualitätsproblem vor (zum Beispiel wird verstärkt argumentiert, dass man ja sofort wieder kündigen könnte). Eine Gesamtstornoquote bezieht sich auf die gesamte Aktion, oft zusätzlich bezogen auf einen bestimmten Zeitraum. Im Übrigen lässt sich die Stornoquote auch auf eine bestimmte Agentur oder auf einen bestimmten Mitarbeiter beziehen. Gesamtstornoquoten von 20 % im Tür-zur-Tür-Fundraising sowie 25 % bis 30 % im Stand- und Straßen-Fundraising gelten als übliche Durchschnittswerte (siehe auch Urselmann 2014, S. 192–193). Bei der Ursachenforschung für eine bestimmte Stornoquote ist ein Blick auf die Stornogründe unerlässlich. Dazu gehören zum Beispiel „finanzielle Schwierigkeiten“, „soziale Gründe“ oder einfach „verstorben“.

  3. 3.

    Kostenanteilsquote am Gesamtbetrag. „Wie viel von meiner Spende kommt denn wirklich bei Ihnen an?“ Diese Frage stellen Spender immer wieder. Auch als Kennzahl ist die Kostenanteilsquote am Gesamtbetrag ein wichtiger Indikator, wie wirtschaftlich eine Face-to-face-Kampagne verlaufen ist. Kontinuierlich während einer Kampagne erhoben kann diese Quote Auslöser sein, eine unwirtschaftlich werdende Kampagne zu unterbrechen oder sogar zu stoppen.

    Allerdings ist diese Quote etwas differenzierter zu berechnen. Es geht hier nicht allein darum, den Kostenanteil am ersten Jahresbeitrag zu berechnen. Vielmehr wird der Kostenanteil längerfristig berechnet, meist auf einen Zeitraum von drei Jahren. Daraus ergibt sich folgende Formel:

    $$ \begin{array}{l}\mathrm{x}\ \cdotp\ \mathrm{y} = \mathrm{z}\\ {}\frac{\mathrm{k}}{\mathrm{z}}=\frac{{\mathrm{k}}^1}{{\mathrm{z}}^1}=\frac{\left({\mathrm{k}}^1\cdot \mathrm{z}\right)}{100}=\mathrm{q}\%\end{array} $$

    Wobei x = Jahresbetrag, y = Anzahl der Jahre, K = Kosten pro Jahresbetrag, z = Gesamtjahresbetrag und q = Kostenanteil in % darstellt.

    Es ist schwer eine Aussage darüber zu treffen, welcher Kostenanteil als noch vertretbar angesehen werden kann. Hier sind die Vorgaben des DZI-Spendensiegels eine gute Orientierung (DZI 2015, S. 1). Doch auch höhere Kostenanteile können als angemessen (auch wirtschaftlich) gewertet werden, zum Beispiel wenn mit einer Face-to-face-Maßnahme ganz neu begonnen wurde.

7 Face-to-Face-Fundraising als fundraising-ethische Herausforderung

Die Instrumente des Face-to-Face-Fundraising gehören zum umstrittensten in der gesamten Branche. Dies gilt insbesondere für das Tür-zur-Tür-Fundraising, das durch die sog. „Drücker“ als besonders unseriös gilt. Ohne Zweifel handelt es sich hier um eine echte fundraising-ethische Herausforderung. Vom gesamten Umgang mit diesem Instrument in der Praxis hängt die Glaubwürdigkeit einer gemeinnützigen Einrichtung oder Organisation ab.

Wenn man mit Buber festhält, dass alles wirkliche Leben Begegnung ist (Buber 1992, S. 15), dann ist die Glaubwürdigkeit in ganz besonderer Weise „gefährdet“. Denn die Einrichtung oder Organisation begegnet seinem Gegenüber in der Person des Fundraisers. Er repräsentiert sie für das Gegenüber nicht nur, vielmehr stellt er sie dar. Insofern sind in diesem Fall eine Ich-/Du-Begegnung und eine Ich-/Es-Begegnung (Es = Einrichtung/Organisation) miteinander verschränkt, um noch einmal auf Martin Buber zu verweisen.

Die eigentliche Herausforderung für eine Fundraising-Ethik besteht nun darin, dass die Einrichtung oder Organisation in ihrer Gemeinnützigkeit nicht nur glaubwürdig erscheint, sondern glaubwürdig ist. Dies kann sie einerseits erreichen durch ein konsequentes Qualitätsmanagement, das zum Beispiel Vorgaben macht über den Auftritt, das Verhalten oder die Bekleidung. Ebenso sorgen Vorgaben für die Gesprächsinhalte oder den Gesprächsverlauf für einen klaren, fairen und für den potenziellen Förderer jederzeit nachvollziehbaren Gesprächsverlauf. Die in Tab. 3 dargestellte beispielhafte Checkliste (Auswahl) zeigt, auf welche Details es ankommen kann.

Tab. 3 Checkliste Qualitätskontrolle

Entscheidend jedoch ist unter fundraising-ethischen Gesichtspunkten, dass die Face-to-face-Maßnahmen, wie das gesamte Fundraising, im Sinne der Werte und Zielsetzungen agieren, für die diese gemeinnützige Einrichtung oder Organisation steht. Erfahrungsgemäß sind diese Werte im Leitbild oder in der Unternehmenspolitik formuliert und somit auch für das Fundraising verbindlich. Gerade in der konkreten Gesprächssituation können Werte wie zum Beispiel „Menschlichkeit“, „Rücksichtnahme“ oder „Respekt“ sich als echte Herausforderung erweisen. Wenn zum Beispiel ein Passant am Stand sich noch Bedenkzeit ausbittet, so ist dies entsprechend zu respektieren, auch wenn der Fundraiser weiß, dass eine Fördermitgliedschaft wahrscheinlich nicht zustande kommen wird. Ethik zeigt sich im Face-to-Face-Fundraising von beiden Seiten. Sie kann für die Wertschöpfung langfristig förderlich, kurzfristig aber auch einmal eher „hinderlich“ sein. Wesentlich sollte sein, dass jede Face-to-face-Maßnahme substantiell einen relevanten Beitrag zur Wertschöpfung einer gemeinnützigen Einrichtung oder Organisation beiträgt. Gerade diese Institutionen wissen aber aus der Projektarbeit, dass dieser Wertschöpfungsbeitrag nicht allein in Zahlen zu messen ist.